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Beitrag zur Geschichte und den Zielen der DBG

von Dr. Uwe Kaestner

50 Jahre – ein halbes Jahrhundert – hat sich die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft e.V. für die Förderung der deutsch-brasilianischen Beziehungen eingesetzt, hat an ihrem Ausbau und am Austausch auf vielen Gebieten mitgewirkt und ist für umfassende und aktuelle Informationen über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage in den Partnerländern eingetreten.
Diese 50 Jahre waren in beiden Ländern geprägt von Höhen und Tiefen, von Rückschlägen und Erfolgen: Militärregierung und Redemokratisierung, Teilung und Wiedervereinigung, Inflation und stabiles Wachstum, Globalisierung und wirtschaftliche Krisen sowie deren Überwindung. Heute sehen beide Länder – trotz Nachwirkungen der weltweiten Krise – mit Zuversicht in eine Zukunft, die sie noch enger zusammenführen wird.
Dieses geschichtliche Umfeld hat auch die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft nachhaltig geprägt. Sie kann heute mit Fug und Recht feststellen, dass sie ist in guten wie in schwierigen Zeiten ihren Zielen treu geblieben ist. Ihre 50-jährige Geschichte ist Auftrag und Verpflichtung für die kommenden Jahrzehnte.
Eine Erstfassung dieses Beitrags ist auf Anregung des Martius-Staden-Instituts, São Paulo, entstanden und im Martius-Staden-Jahrbuch 2006 veröffentlich worden. Aus Anlass des 50. Jubiläums der Gesellschaft folgt nun eine Fortschreibung, die insbesondere die Entwicklungen seit 2000 vertieft.
Ich danke vielen meiner Kolleginnen und Kollegen im Präsidium für wichtige Dokumente und hilfreiche Anregungen – die Verantwortung für Inhalt und Wertung liegt jedoch bei mir.

Dieses Heft widme ich allen, die sich in 50 Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks für die deutsch-brasilianischen Beziehungen eingesetzt und damit das Hauptanliegen unserer Gesellschaft unterstützt haben.

Dr. Uwe Kaestner

Wer die nunmehr 50-jährige Geschichte der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft (DBG) nachzeichnen will, muss in seinen Blick einbeziehen einerseits die Persönlichkeit, den Lebensweg und die Lebensleistung ihres Gründers, Prof. Dr. Hermann Matthias Görgen, und andererseits das deutsch-brasilianische Beziehungsgeflecht eines halben Jahrhunderts sowie den größeren weltpolitischen Rahmen dieser Jahre. Nur dieser umfassende Rahmen – hier nur in den notwendigen Schwerpunkten angedeutet – erlaubt es, die Bedeutung der DBG als Akteur in den deutsch-brasilianischen Beziehungen zu würdigen sowie ihre Ziele und Ergebnisse gegeneinander abzuwägen.

Am 23. Dezember 1908 wurde Hermann Matthias Görgen im heutigen Saarland geboren, einem der Brennpunkte europäischer Geschichte. Er studierte an der Universität Bonn Philosophie, Pädagogik und Nationalökonomie und promovierte 1933 “summa cum laude“. Schon früh kam er mit dem Philosophen Friedrich Wilhelm Foerster zusammen, der für die geistige Ausrichtung seines Lebens bestimmend wurde. Unter seinem Einfluss entwickelte sich seine Welt der konservativ-humanistischen Werte und seine entschiedene Gegnerschaft zum Totalitarismus jeder Prägung.
Da er aus seinen Überzeugungen kein Hehl machte, bedeutete die Machtergreifung der Nationalsozialisten das Ende seiner akademischen Karriere in Deutschland: Die Habilitation wurde ihm verweigert. Von Bonn aus, wo er sich zu Forschungszwecken aufhielt, musste er in der Silvesternacht 1934/35 vor der drohenden Verhaftung durch die Gestapo fliehen. Er kehrte in seine Heimat an der Saar zurück, wo eine Volksabstimmung über die „Heimkehr ins Reich“ bevorstand. Zusammen mit Johannes Hoffmann organisierte er den katholischen Widerstand gegen die sich abzeichnende Einverleibung der Saar ins nationalsozialistische Deutschland – als dies Wirklichkeit wurde, floh er weiter nach Österreich; nach dessen „Anschluss“ weiter über die Tschechoslowakei in die Schweiz. In diesen Jahren lernte er Frau Dora Schindel, Flüchtling wie er, kennen, die ihm zur unersetzlichen Assistentin wurde.

In der Schweiz führte er mit Prof. Foerster, der bereits seinen Wohnsitz in Frankreich hatte, den geistigen Kampf gegen den Nationalsozialismus weiter und warnte vor dem heraufziehenden Krieg. 1940 verboten ihm die Schweizer Behörden weitere politische Betätigung und forderten ihn auf, die Eidgenossenschaft zu verlassen. Was folgte, war ein von Görgen in seinen Lebenserinnerungen beschriebener „Krimi“: Es ging darum, unter der Ägide des „Comité pour le Placement des Intellectuels Refugiés“ für 45 politisch, religiös oder rassisch Verfolgte ein Asylland zu finden und die Ausreise dorthin zu organisieren.

Entscheidend für den Erfolg des Unternehmens war die Begegnung mit dem brasilianischen Gesandten beim Völkerbund Dr. César Weguelin de Vieira: Obwohl die brasilianische Regierung unter Präsident Getúlio Vargas nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bei der Aufnahme von europäischen Flüchtlingen eine zunehmend restriktive Linie einschlug, stellte der Gesandte die Sichtvermerke für die „Gruppe Görgen“ nicht als Intellektuelle, sondern als Investoren aus – mit der Maßgabe, dass nach gelungener Flucht eine Fabrik zu gründen sei.

Am 11. Mai 1941 landete die „Gruppe Görgen“ in Rio de Janeiro und erhielt in Brasilien Asyl. Getreu der Aufnahmebedingung wurde in Juiz de Fora die Fabrik „Indústrias Técnicas“ mit den Zweigen Metallverarbeitung, Gießerei und Schreinerei gegründet. Nebenher arbeitete Görgen mit an der brasilianischen Zeitschrift für Philosophie und gab Vorlesungen an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Juiz de Fora.

Die Anfangszeit war schwierig: Nicht nur war der Betrieb eines Unternehmens etwas Neues für die Gruppe – sie traf in Brasilien auch auf Widerstand aus deutschstämmigen Kreisen, die offene Sympathie für das Dritte Reich hegten. Der Kriegseintritt Brasiliens – nach deutschen U-Boot-Angriffen auf die brasilianische Küstenschifffahrt sowie dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour – kappte die Verbindungen nach Europa. Brasilien wurde Görgens neue Heimat, ja große Liebe. Die Dankesschuld für das gewährte Asyl bestimmte seinen weiteren Lebensweg.

Nach Ende des Weltkrieges blieb Görgen zunächst in Brasilien. Aber nach Unterzeichnung des Saarvertrages 1954, der über eine Volksabstimmung den Weg der Wiedervereinigung der Saar mit dem neuen demokratischen Deutschland ebnete, kehrte Görgen in seine alte Heimat zurück. Dort war inzwischen Johannes Hoffmann Ministerpräsident geworden: Er berief Görgen, seinen Weggefährten aus dem Exil, zum Generaldirektor des Saarländischen Rundfunks. Über die Christliche Volkspartei, die mit der CDU/CSU fusionierte, wurde Görgen in der Wahlperiode 1957-1961 in den Deutschen Bundestag gewählt. Die damals gerade anlaufende Entwicklungspolitik wurde sein großes Thema.

Im Auftrag von Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde er Beauftragter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung für Lateinamerika – eine Funktion, die er bis 1973 ausfüllte. 1960 war er Spiritus Rector bei der Gründung der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft. 1961 gründete er das der Entwicklungshilfe gewidmete Lateinamerika-Zentrum.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegzeit empfand sich Argentinien unter Präsident Juán Perón als Nummer Eins in Lateinamerika. Das Land hatte durch seine Fleisch- und Getreideexporte in von Krieg verwüstete, hungernde Länder glänzend verdient. In den 1950er Jahres wendete sich jedoch das Blatt. Brasilien, damals mit etwa 55 Millionen Einwohnern, erlebte unter Präsident Juscelino Kubitschek einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung und entwickelte große Anziehungskraft für ausländische Investoren.

Symbol dieses Aufbruchs war die Verlegung der Hauptstadt ins Landesinnere – Brasília als Idee, als politisches Ziel, als städtebauliche Konzeption, als architektonischer großer Wurf und als Pionierleistung in der Umsetzung erregte weltweit Aufsehen, nicht zuletzt in Deutschland, wo im Dessauer Bauhaus die Architektur des 20. Jahrhunderts vorgedacht worden war.

Die Bundesrepublik Deutschland hatte nach Wiedererlangung ihrer Souveränität 1955 die diplomatischen Beziehungen zu Brasilien wieder aufgenommen; Verhandlungen über die Rückgabe des während des Zweiten Weltkrieges beschlagnahmten deutschen Eigentums machten gute Fortschritte; nach Brasilien geflüchtete jüdische Bürger wurden in die Entschädigungsleistungen einbezogen. Und nicht zuletzt: die deutsche Industrie fand in Brasilien ein lohnendes Betätigungsfeld. Deutsche Unternehmerpersönlichkeiten, die während des Krieges im Lande geblieben waren, wurden zu Pionieren der ersten Stunde. Unternehmen mit langer Tradition in Brasilien wie z.B. Siemens kehrten mit Erweiterungsplänen zurück. Große Namen wie Volkswagen, Mercedes und Mannesmann engagierten sich mit bedeutenden Investitionen. Präsident Kubitschek honorierte die neu begründete Partnerschaft mit der Bundesrepublik Deutschland und würdigte dieses industrielle Engagement durch einen Staatsbesuch in Deutschland.

Nicht zu vergessen: Die Welt von damals war gespalten in den „Freien Westen“, zu dem sich die Bundesrepublik Deutschland bekannte; in den Herrschaftsbereich des Kommunismus, zu dem ein Teil Deutschlands gehörte und der mit der kubanischen Revolution unter Fidel Castro an der Jahreswende 1958/1959 auch in der westlichen Hemisphäre Fuß gefasst hatte; ins Lager der „Blockfreien“, hauptsächlich bestehend aus unabhängig gewordenen Ländern der „Dritten Welt“; und in noch unter kolonialer Herrschaft stehende Länder, insbesondere in Afrika, wo der portugiesische Kolonialkrieg und die südafrikanische Apartheid sich zu internationalen Skandalen entwickelten.

Brasilien wurde von allen Seiten umworben: es wahrte aber Distanz. In der Bewegung der Blockfreien nahm es nur den Status eines Beobachters ein. Für den Westen war es – gerade nach der kubanischen Revolution – ein primäres Anliegen, Brasilien an seiner Seite zu halten. Jeder Kontakt mit Meinungsführern war wichtig.

Am 7. Dezember 1960 versammelten sich in Bonn führende Persönlichkeiten zur Gründung einer Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft mit Sitz in Bonn, zu deren Zweck es in § 2 ihrer Satzung heißt:

Die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft e.V. ist eine von politischen, parteipolitischen und konfessionellen Bindungen freie Vereinigung.

Sie will durch allgemein kulturelle, informatorische, gesellschaftliche, künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit zur Verständigung zwischen Brasilianern und Deutschen und zum gegenseitigen Verständnis der geistigen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Probleme der beiden Völker beitragen.

Zu den Gründungsmitgliedern gehörten, angeführt von Prof. Görgen, 18 prominente Mitglieder seiner Bundestagsfraktion, der CDU/CSU, darunter die späteren Bundesminister Dr. Herrmann Höcherl und Dr. Bruno Heck und die Außenpolitiker Dr. Hermann Kopf und Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. Dr. Friedrich Freiherr von Oppenheim als Großunternehmer verbürgte zugleich die Beziehungen zur Wirtschaft. Der brasilianische Botschafter Dr. Abelardo Bueno do Prado und weitere Angehörige der brasilianischen Botschaft unterzeichneten die Gründungsakte ebenso wie Professoren der Universität Bonn, Beamte aus Bundesministerien, darunter der damalige Lateinamerika-Referent des Bundespresseamtes, Dr. Hans-Joachim Dunker, ferner der Schriftsteller Dr. Wolfgang Hoffmann-Harnisch, der wie Görgen in Brasilien Asyl gefunden hatte, nicht zuletzt Dora Schindel, inzwischen Görgens Assistentin im Deutschen Bundestag.

Die Gründungsversammlung wählte Prof. Görgen zum Präsidenten, Dr. Hoffmann-Harnisch und Gesandten Vasconcellos zu Vizepräsidenten, Dr. Andrada, Dr. Freiherr von Oppenheim und Dr. Heck zu Mitgliedern des Präsidiums und den Abgeordneten Dr. Aigner zum Vorsitzenden des Kuratoriums. Botschafter Dr. Bueno do Prado wurde einstimmig zum Ehrenpräsidenten gewählt.

Prof. Görgen und seine Mitgründer prägten die Ausrichtung der Gesellschaft. Sie standen für die konservative Grundrichtung und politischen Ziele der Adenauer-Zeit: Moralische und rechtlich-ethische Erneuerung, um jeden Rückfall in totalitäre Regime zu verhindern; Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in ein europäisches, atlantisches und weltweites Bündnis- und Beziehungsgeflecht, um sie im Westen zu verankern und „deutschen Sonderwegen“ Riegel vorzuschieben; Widerstand gegen die kommunistische Bedrohung, die in und um Berlin immer wieder akut wurde, sowie gegen internationale Anerkennung der DDR; Werben für das Ziel der nationalen Einheit.

Diese Überzeugungen teilten damals nicht alle politischen Kräfte in Deutschland voll und ganz. Die Suche nach Wegen zur Überwindung der deutschen Teilung bestimmte die politische und intellektuelle Diskussion dieser Jahre. Die Öffnung der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft für ein breiteres Parteienspektrum blieb späteren Jahren vorbehalten. Es ehrt den großen Sozialdemokraten Prof. Carlo Schmid, dass er als erster Vertreter seiner Partei dem Kuratorium beitrat.

Der Gründung der Gesellschaft waren langwierige Verhandlungen Prof. Görgens über eine tragfähige finanzielle Grundlage vorausgegangen. Sie sollte aus drei Säulen bestehen: Beiträge der Mitglieder und Spenden; Zuschüsse des Auswärtigen Amtes und des Bundespresseamts; Beiträge der brasilianischen Regierung. Damit sollte ein finanzieller Grundstock geschaffen werden, der die Einrichtung und den Unterhalt eines Büros in Bonn, die Anstellung von Mitarbeitern und die Gründung von Zweiggesellschaften in anderen deutschen Städten erlaubte. Mit Datum vom 21. August 1961 wurde die Gesellschaft nach deutschem Steuerrecht als „gemeinnützig“ anerkannt, was unerlässliche Voraussetzung für das Einwerben von Spenden war und bleibt.

Von Anfang an verdeutlichte ein Informationsdienst über brasilianische und deutsch-brasilianische Themen, zunächst hektografiert, später in der Form der Deutsch-Brasilianischen Hefte, dass die Gesellschaft über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus publizistisch tätig werden wollte. Zur Geschichte der DBG gehörten seither ihre Publikationen und insbesondere die Kommentierung aktueller Ereignisse durch „den Professor“.

Die Gründung der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft mit so prominenten Unterstützern wurde nicht überall begrüßt. In Kreisen der auf die Beziehungen zu ganz Lateinamerika sowie zur Iberische Halbinsel gerichteten Vereinigungen regte sich Widerstand. Man pochte auf ältere Rechte und unterstellte, dass die DBG überflüssige Doppelarbeit leiste. Man befürchtete ein Abwerben von Mitgliedern, Konkurrenz bei potentiellen Spendern und öffentlichen Zuschussgebern.

Dem setzte schon die zweite Mitgliederversammlung der DBG ein ausdrückliches Angebot zur Zusammenarbeit, gerichtet an den Ibero-Club in Bonn und an den Ibero-Amerika-Verein in Hamburg entgegen – bis hin zur wechselseitigen Entsendung von Vorstandsmitgliedern.

Die Reaktion auf die Gründung der DBG und deren Erwiderung stellen aber die Frage nach der Motivation Görgens und seiner Mitgründer. Er selbst führte dazu in einer Rede zu seinem 85. Geburtstag, in der er die Summe seiner Lebenserfahrungen zog, folgendes aus:

Mein Fluchtweg endete 1941 in Brasilien. Im Zusammenleben mit Brasilianern sind mir wesentliche neue Erkenntnisse zugeflossen. Ich gewann die Überzeugung, dass neuartige Verbindungen und Bindungen zwischen Europa einerseits und Lateinamerika andererseits vitale Bedeutung für beide Regierungen und Länder darstellen.

Ich glaube, diese Bewusstseinbildung in beiden Völkern als Lebensaufgabe ansehen zu sollen. … Die Frage unserer Beziehungen zu Brasilien ist auf lange Sicht gesehen unter vielen Aspekten mit den Existenzfragen der westlichen Welt eng verbunden, einer Welt, die ohne ein starkes, ihr geistig, organisatorisch und wirtschaftlich zugehöriges Brasilien nur schwer gedacht werden kann.

Mitbewirkt hat die Gründung auch die Überzeugung, dass angesichts des wachsenden Gewichts Brasiliens in Lateinamerika sowie steigender Attraktivität auf internationaler Bühne eine „Mitbehandlung“ im Rahmen ganz Lateinamerikas nicht mehr ausreichend sei, dass vielmehr sein politischer und wirtschaftlicher Stellenwert und seine Standpunkte in der deutschen Öffentlichkeit durch eine Brasilien-spezifische Organisation verdeutlicht werden sollten. Auch galt es, den in Deutschland umlaufenden Brasilien-Klischees gegenzusteuern.

Nicht zu vergessen: Einige der „Ibero-Vereinigungen“ in Deutschland hatten ihren Ursprung in der Beziehungspflege zu eben dieser Halbinsel. Dort aber herrschten zur Zeit der Gründung der DBG noch Diktaturen — Franco in Spanien, Salazar in Portugal – und führten Kolonialkriege in Afrika. Beides, aufgrund seiner Vita, Görgen zutiefst zuwider.

Sehr positiv wurde die Nachricht von der Gründung der DBG im Brasilianischen Nationalkongress aufgenommen: Der Abgeordnete Herberto de Castro trug am 19. Oktober 1961 im Plenum die Gründungsakte der Gesellschaft vor und nannte ihr Präsidium – mit Beifall von allen Seiten des Hauses.

Gemäß ihrer Aufgabe entwickelte die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft bald mit großem Elan ein breit gefächertes Kultur- und Informationsprogramm sowie Sprachkurse. Ausstellungen und Konzerte wechselten mit Vorträgen über kulturelle, wirtschaftliche und soziale Fragen sowie zur Landeskunde. Prof. Görgen referierte in Bonn und anderen Städten, oft auch im universitären Rahmen, zur politischen Lage. Unter den Rednern finden sich in den Anfangsjahren so berühmte Namen wie Prof. Gilberto Freire mit dem Thema „Brasilien – neue Welt in den Tropen“ und Oberrabbiner Prof. Dr. Fritz Pinkuss, der über das Schicksal der nach Brasilien emigrierten Juden berichtete.

Herausforderungen auf politischer Ebene ließen nicht auf sich warten: Am 13. August 1961 errichtete die DDR die Berliner Mauer und baute die innerdeutsche Grenze zum „anti-faschistischen Schutzwall“ aus. Als Reaktion intensivierte die Bundesregierung ihre Bemühungen um Abschottung der DDR und entschiedene Verurteilung der Mauer durch Freunde und Verbündete, durch Regierungen und Öffentlichkeit der Welt – Brasilien eingeschlossen.
Görgen reiste wiederholt als Beauftragter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung für Lateinamerika in die Region und nutzte das Netzwerk seiner persönlichen und politischen Kontakte in Brasilien. Als Präsident der DBG besuchte er Bundes- und Landesinstitutionen und Universitäten und festigte seine Beziehungen zu vorwiegend konservativen Kreisen, die ihrerseits befürchteten, dass das kubanische Beispiel – wo sich die Revolution immer enger an Moskau anschloss – auf dem lateinamerikanischen Festland Nachahmer finden könnte.

Diese Furcht war nicht unbegründet. Die Präsidentschaftswahlen am 3. Oktober 1960, die über die Nachfolge Kubitscheks bestimmen sollten, erbrachten einen Linksruck: Jânio Quadros gewann mit links-populistischen Parolen, sein Vize wurde der Sozialist Jango Goulart. Quadros übte sein Amt nur kurz aus – mit seiner Ordensverleihung an Che Guevara, wenige Tage nach der Berliner Mauer, löste er eine Lawine aus, die ihn am Ende selbst begrub. Dazu schrieb der nach Brasilien zurückgekehrte Botschafter Bueno do Prado an Görgen:

Ihr Freund Lacerda war, wie bei anderen Gelegenheiten, die Sprengkapsel. Indem er die linkslastige Politik von Quadros unverhüllt angriff, stellte er den Präsidenten vor zwei Alternativen. Entweder gliederte er sich in die Reihen des Westens ein oder er reagierte mit noch größerer Hartnäckigkeit, indem er versuchte, größere Machtbefugnisse in seinen Händen zu bündeln, um sich noch stärker auf die Seite der Neutralisten zu schlagen und den Vorhaben von Fidel Castro breite Rückendeckung zu geben. Das würde bedeuten, die Türen des Landes den Agenten Moskaus zu öffnen.

Im August 1961 trat Jânio Quadros unter Beschuldigung „finsterer Mächte“ zurück. Einer verfassungsgemäßen Amtsübernahme durch den Vizepräsidenten widersetzten sich die Minister der drei Teilstreitkräfte unter Hinweis auf dessen „Verbindungen zu Moskau und Peking“. Die Krise wurde zunächst durch eine Verfassungsreform – Schaffung des Amtes eines Premierministers – entschärft. Doch diese Konstellation war nur von kurzen Dauer: Im März/April 1964 putschte das Militär. Unter Druck und durch Kassationen dezimiert, wählte der Kongress den bisherigen Generalstabschef Marschall Humberto de Alencar Castelo Branco zum Präsidenten. Institutionelle Akte stellten in der Folge die Parteien unter Kuratel und eröffneten die Möglichkeit, missliebige Persönlichkeiten zu verurteilen und ins Exil zu drängen – an der Spitze Ex-Präsident Juscelino Kubitschek.
Die DBG geriet in eine Zwickmühle: Einerseits war ein Rückschlag für die Demokratie und die Menschenrechte zu beklagen. Andererseits galt es, die Kommunikation in beiden Richtungen offen zu halten, in Brasilien weiter für die deutschen Anliegen zu werben – was durch den klaren antikommunistischen Kurs des Regimes erleichtert wurde – und in Deutschland die brasilianische Entwicklung und ihre weiteren Perspektiven, unter Berücksichtigung des inzwischen bedeutenden deutschen industriellen Engagements, ausgewogen darzustellen.

Prof. Görgen bezeichnete das Geschehen als „Abwehr sehr verschiedener politischer Gruppierungen (also nicht nur des Militärs) gegen einen drohenden Ruck nach Linksaußen“. Er versuchte in seinen Vorträgen die schwierige Gratwanderung zwischen Verurteilung von „totalitären Regimes“ wie Nazis und Kommunisten und abwartender Prüfung „autoritärer Regierungen“. Zunächst jedoch sah er die innenpolitische Lage beruhigt, die internationale Orientierung wieder in westlichem Fahrwasser, die Perspektiven einer nicht durch Streiks gelähmten Industrie als günstig. Diese Bewertung wurde auch in breiten Kreisen der Wirtschaft geteilt. Ausländische Investoren sahen neue Chancen. Ein brasilianisches „Wirtschaftswunder“ kündigte sich an.

Auch die amtliche Politik betonte Kontinuität: Bundespräsident Heinrich Lübke stattete kurz nach dem April-Putsch Brasilien einen – schon vorher geplanten – Staatsbesuch ab. Außenminister Willy Brandt besuchte Brasilien 1967 und konferierte mit seinem brasilianischen Kollegen Juracy Magalhães, der als Gouverneur von Minas Gerais ziviles Haupt des Putsches gewesen war. Dieser erwiderte den Besuch 1969 und empfing das Präsidium der DBG.

Schließlich sei angemerkt, dass Lateinamerika in den 1960er und 1970er Jahren zunehmend unter Militärherrschaft geriet und dies sogar in der entwicklungspolitischen Diskussionen begrüßt wurde:

„Entwicklungsdiktaturen“ sollten überkommene Oligarchien aufbrechen, rasches Wachstum fördern und Armut bekämpfen. Diese Überlegung motivierte auch den ersten sozialdemokratischen Entwicklungsminister Erhard Eppler, im militärisch regierten Peru einen Schwerpunkt der deutschen Entwicklungshilfe zu setzen.

Ende der 1960er Jahre stand die internationale Lage im Schatten des Vietnamkrieges. Der Kampf der USA in Fernost wurde in der Öffentlichkeit Lateinamerikas als Imperialismus angeprangert, der auch erneut Lateinamerika bedrohe. Er war „gefundenes Fressen“ für die kubanische Propaganda, die zu revolutionären Bewegungen aufrief und diese unterstützte. In Mittelamerika – Nicaragua, El Salvador – zündete der Funke. In Chile wurde Salvador Allende zum Präsidenten gewählt. Er wurde nach dreijähriger Regierungszeit von General Augusto Pinochet gestürzt, dessen Militärdiktatur sich den Ruf erwarb, in Lateinamerika zu den härtesten zu gehören.

Dies alles war in der innenpolitischen Auseinandersetzung vieler Länder Zündstoff. Insbesondere die 1968er Studentenrevolte leitete daraus Agitation und Massenmobilisation her. Auch auf Brasilien sprang der Funke über. Aus dem studentischen Protest um besseres Mensaessen erwuchs binnen kurzem eine Stadtguerilla, die drei Botschafter, darunter den Deutschen Ehrenfried von Holleben, und einen Generalkonsul mit Waffengewalt entführte, um die Befreiung von Häftlingen zu erzwingen.

Das Militärregime reagierte mit Verhärtung und Repression. Sie erreichte unter dem Präsidenten General Emílio Garrastazu Medici, bisher Chef des Geheimdienstes SNI, ihren Höhepunkt. Die politische Polizei DOPS verhaftete Verdächtige und ging mit Gefangenen brutal um. Die offenbar aus Angehörigen der Sicherheitsorgane bestehenden „Todesschwadronen“ liquidierten Andersdenkende.

Die Entwicklung in Lateinamerika, insbesondere aber in Brasilien, geriet voll in die deutsche innen- und außenpolitische Debatte. Dies war wohl Hauptanlass, dass die Angehörigen der brasilianischen Botschaft sich aus dem Präsidium der DBG zurückzogen. Trotz der damit implizierten Distanz zum „amtlichen Brasilien“ blieb die DBG ihrem selbst gestellten Auftrag treu – auch unter erschwerten Bedingungen.

In Köln trat unter Leitung des WDR-Journalisten J. H. Casdorff ein „Brasilien-Tribunal“ zusammen. Hauptanklagepunkt, vertreten von Amnesty International und anderen Organisationen, war „Folter“. Als Verteidiger wurde Prof. Görgen bestellt. Er spielte diese Rolle „mit Umsicht, Ruhe, Sachlichkeit und Wissen“ – so ein in den Deutsch-Brasilianischen Heften abgedruckter Pressebericht. Er wandte sich gleich eingangs gegen „anti-brasilianische Hysterie“ und stellte unter Berufung auf seine Quellen in der brasilianischen Nationalen Bischofskonferenz CNBB fest: „Brasilien lehnt Folterungen ab und bekämpft die Todesschwadronen“. Etwa 120 nachgewiesene Fälle von Gefangenenmisshandlung wurden als vergleichsweise gering bezeichnet.
Dem widersprachen die Ankläger aufs heftigste: Ihre viel höheren Zahlen stammten aus Kreisen der Befreiungstheologie und aus Basisgemeinden, die z.T. von deutschen kirchlichen Hilfswerken unterstützt wurden und in denen auch deutsche Ordensgeistliche wirkten.

Hiermit war eine weitere Gefechtslinie der innerbrasilianischen Auseinandersetzung angedeutet: Konservative Kirchenführer gegen progressive Theologen und niederen Klerus. Beide Richtungen wurden in den Deutsch-Brasilianischen Heften abgehandelt. Die Kardinäle Lorscheider und Lins kamen mit Pastoralbriefen zu Wort. Dom Helder Câmara wurde in seinen Anliegen vorgestellt. Als der führende Kopf der Befreiungstheologie, Leonardo Boff, Ende der 1980er Jahres vom Vatikan gemaßregelt wurde, konnte man auch dazu Hintergründe lesen. Der brasilianische Außenminister Ramiro Saraivo Guerreiro sah sich bei seinem Bonn-Besuch 1980 zum Rat an die DBG veranlasst,

„vor allem die kirchlichen Kreise Deutschlands über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Brasilien und die brasilianische Sozial- und Wirtschaftspolitik genau zu informieren.“

Die DBG war aber nicht zuletzt durch die Projektarbeit des Lateinamerika-Zentrums sowie die Kontakte Prof. Görgens zu den deutschen kirchlichen Hilfswerken mit den Realitäten vor Ort so vertraut, dass es zu einer Informationspolitik nach dem Ansinnen des Ministers nicht kommen konnte.

Das politische und wirtschaftliche Schicksal Brasiliens wurde in den 1970er Jahren durch zwei Ereignisse mit Langfristwirkung bestimmt: Energiekrisen und politische Reformansätze.

Die erste Erdölkrise ab 1973 führte zu dramatischen Verwerfungen des brasilianischen Außenhandels. Hatten bisher ein Drittel der Kaffee-Exporte genügt, um die Ölimporte zu bezahlen, so reichten dafür jetzt die Gesamtexporterlöse aus Kaffee, Soja, Zucker und Eisenerz kaum mehr aus. Die fehlenden Mittel wurden durch wachsende Verschuldung beschafft – mit inflationären Folgen. Das Wirtschaftswachstum Brasiliens wurde stark gebremst. Sein „Wirtschaftswunder“ stand in Frage.

Zugleich aber wurde ein erster Versuch unternommen, aus Erdöl raffiniertes Benzin durch aus Zucker gewonnenen Kfz-Treibstoff – Ethanol – zu ersetzen. Diese Entwicklung fand in Vorträgen der DBG und in ihren Veröffentlichungen breiten Raum.

In diesen Zusammenhang gehört auch das 1975 unterzeichnete deutsch-brasilianische Nuklear-Abkommen, das Brasilien mit deutscher Technologie die friedliche Nutzung der Kernenergie erschließen sollte. Dies wurde wiederum in Teilen der deutschen Öffentlichkeit heftig kritisiert, weil das Militärregime sich keinen internationalen Kontrollen unterworfen hatte. Görgen hingegen verteidigte das Abkommen als energiepolitisch unerlässlich und feierte zugleich einen der größten Exportaufträge, den die deutsche Industrie überhaupt je erhalten habe.

In der brasilianischen Innenpolitik setzte das Militärregime die „linha dura“ nicht fort, sondern steuerte auf allmähliche Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen. Das oberste Staatsamt übernahm General Ernesto Geisel, der erste deutschstämmige und erste protestantische Präsident Brasiliens; sein Stammbaum wurde in den Deutsch-Brasilianischen Heften ausführlich dokumentiert, seine Amtsübernahme auch als ein Durchbruch des deutschen Elements in der brasilianischen Bevölkerung begrüßt. 1978 stattete er der Bundesrepublik Deutschland einen Staatsbesuch ab, der allerdings wegen der kritischen Aufmerksamkeit der deutschen Medien und Öffentlichkeit atmosphärisch belastet war.

Besser verlief 1981 der Deutschland-Besuch seines Nachfolgers João Figuereido: Sein Ziel einer beschleunigten Redemokratisierung wurde durch Wahlen, beginnend auf kommunaler Ebene, untermauert, was wiederum seine Glaubwürdigkeit erhöhte. Er empfing während seines Besuchs das Präsidium der DBG. Prof. Görgen trug zu ihrer Arbeit und ihren Zielen vor. Der Präsident würdigte dies nachdrücklich.

In diesen Zeiten des Wandels erscheint wiederholt der Name Luiz Inácio Lula da Silva in den Spalten der Deutsch-Brasilianischen Hefte. 1985 wird ein Leitartikel des Jornal do Brasil nachgedruckt, der Lula – damals frischbackener Parteichef – als „wilden Mann“ kritisiert, weil er die innenpolitische Entwicklung durch Streiks forciere. 1989 wird über den Empfang Lulas im Bundeskanzleramt berichtet. Mit dem damaligen Staatsminister Lutz Stavenhagen habe er übereingestimmt, „dass wirtschaftliche Stabilität eine wesentliche Voraussetzung für stabile politische Verhältnisse darstelle“. Stavenhagen betont auch vor dem Hintergrund fortschreitender Urbarmachung tropischer Regenwälder und des Cerrado die Notwendigkeit, die Umwelt zu erhalten und die natürlichen Ressourcen zu schützen. Im selben Jahr erscheint ein Nachruf auf Chico Mendes, den ermordeten Vorkämpfer gegen die ungehemmte Landnahme und Abholzung im Amazonas.

1989 fällt die Berliner Mauer, 1990 wird Deutschland friedlich wiedervereint. Die DBG versteht sich fortan als gesamtdeutsche Vereinigung.

Die brasilianische Demokratiebewegung führt zur Verfassung von 1988, zur Amtsübernahme des zivilen Präsidenten José Sarney und zur ersten direkten Präsidentschaftswahl durch das Volk; Fernando Collor de Mello geht als Sieger hervor.

Im Zuge dieser Entwicklung, insbesondere des Verfassungsprozesses gewinnt ein neues Instrument der DBG Bedeutung: das öffentliche Symposium mit breiter Einladung an alle am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Geschehen Interessierte. Als Vortragende werden ausgewiesene Fachleuten aus Politik, Universitäten, Forschungsinstituten, aus der Zivilgesellschaft und den Medien gewonnen. Nach anfänglichen Versuchen mit alleiniger Trägerschaft entwickelt sich ein Zwei-Jahres-Rhythmus und bahnt sich eine fruchtbare partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung an, die bis heute anhält.

Das III. Symposium wurde von Außenminister Prof. Francisco Rezek beehrt: Er hoffte „im Rahmen der Uruguay-Runde auf Unterstützung Deutschlands, damit wir im Agrarsektor aus der Sackgasse herausfinden“ – prophetische Worte angesichts des bis heute andauernden Ringens zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

Das demokratische Brasilien gewinnt nicht nur in den Welthandelsverhandlungen Statur. Nach Jahrzehnten der internen und internationalen Kritik an brasilianischen Umweltsünden setzt sich das Land an die Spitze der Bewegung: Präsident Collor lädt 1992 zur Umwelt-Gipfelkonferenz der Vereinten Nationen nach Rio de Janeiro ein. Motor dieser Bewegung ist Umweltminister José Luchtenberger. Bundeskanzler Helmut Kohl, der Brasilien schon 1991 einen offiziellen Besuch abgestattet hatte, nimmt auch an dieser Konferenz teil. Die DBG begleitet diesen Aufbruch zu einer internationalen Umweltpolitik mit Vorträgen und Artikeln, die die Sorge über den fortschreitenden Raubbau an den Wäldern widerspiegeln.

Leider erfüllten sich zunächst die Hoffnungen, dass Brasilien unter seiner neuen Verfassung politische und wirtschaftliche Stabilität gewinnen würde, nicht. Die Inflation erreichte Rekordhöhen. Präsident Collor räumte im Herbst 1992 angesichts eines drohenden Amtsenthebungsverfahrens den Präsidentensessel. Sein Nachfolger Itamar Franco konnte nur mit Mühe sein Mandat beenden. Zu seinen personellen Glücksgriffen gehörte zweifellos die Berufung von Prof. Fernando Henrique Cardoso zum Außen-, später zum Finanzminister. Er sollte mit dem „Plano Real“ die Wende zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung und mit seiner zweimaligen Wahl zum Staatspräsidenten eine Ära politischer Stabilität und internationalen Ansehens einleiten.

Präsident Cardoso, Soziologie-Professor und Schüler von Sergio Buarque de Holanda, verdankt nach eigenem Bekunden der deutschen Philosophie und Soziallehre entscheidende Anstöße. Er bewies sich im Präsidialamt als großen Freund Deutschlands, das er wiederholt besuchte, so zur Weltausstellung in Hannover 2000.

1990 feierte die DBG ihr 30-jähriges Bestehen. Vizepräsident Josef Reufels, der zuletzt als Generalkonsul in São Paulo gewirkt hatte, konnte in seiner Festrede eine sehr positive Bilanz der vergangenen Jahrzehnte ziehen. Die DBG hatte von ihrem Hauptsitz in Bonn aus mit Hilfe von vielen ehrenamtlichen Persönlichkeiten zehn Distrikte (Bundesländer) und Sektionen (Städte) gegründet. Die Mitgliederzahl hatte Anfang der 1970er Jahre, hauptsächlich aufgrund des großen Interesses am „Brasilianischen Wirtschaftswunder“, den Stand von 873 erreicht, war bis zum 30. Jahrestag allerdings auf 644 gesunken und stieg bis 1992 wieder auf 701 (nicht berücksichtigt die Familienmitglieder).

Die Finanzierung wurde schwieriger. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Brasiliens ergriffen beide Regierungen Sparmaßnahmen, die auch die Zuschüsse für Nicht-Regierungs-Organisationen verminderten. Für die DBG war insbesondere die Herausgabe der Deutsch-Brasilianischen Hefte betroffen.

Für die DBG wurde jedoch das Jahr 1994 zur Zäsur: Nachdem Prof. Görgen noch zu Jahresanfang seinen 85. Geburtstag gefeiert und in einer eindrucksvollen Rede die Summe seiner Lebenserfahrung gezogen hatte, verstarb er Anfang Mai völlig unerwartet. Seine Freunde und Weggefährten in Deutschland und Brasilien stimmten in ihrer Trauer über den Heimgang einer großen Persönlichkeit und einen unersetzlichen Verlust überein. Sein Lebenswerk wurde in Medien und Sonderveröffentlichungen gewürdigt.

Sein Tod riss eine große Lücke in beiden von ihm gegründeten Gesellschaften, der DBG und dem Lateinamerika-Zentrum. Ein schwieriger Neuanfang mündete in personelle Trennung: Dr. Helmut Hoffmann wurde Präsident des LAZ; in der DBG übernahmen zunächst Vizepräsident Dr. Klaus Rose, MdB, und das geschäftsführende Präsidiumsmitglied Wilhelm Bodens die Leitung. Die Mitgliederversammlung vom 7. Februar 1995 wählte dann den soeben aus Brasilia zurückgekehrten Verteidigungsattaché Oberst a.D. Eyland Freiherr von Roenne zum neuen Präsidenten. Seine vorrangige Aufgabe war, die Verbindungen der DBG wieder aufzufrischen und neue Kontakte zu knüpfen. Während einer Brasilienreise nahm er eine schon zu Anfang der 1960er Jahre geprüfte, während des Militärregimes aber zurückgestellte Frage wieder auf: Ob eine brasilianische Schwestergesellschaft gegründet werden könnte. Sie führte zu keiner parallelen Gründung, aber zur Gewinnung neuer brasilianischer Mitglieder des Kuratoriums.

Wichtig war auch die 1995 getroffene Entscheidung, die Deutsch-Brasilianischen Hefte nicht im bisherigen Format fortzuführen, sondern einen Neustart zu wagen. Unter dem Namen „TÓPICOS“ erschien nunmehr eine Zeitschrift, die das ganze Interessen-Spektrum der Brasilienfreunde in Deutschland abzudecken und ein breiteres Publikum zu gewinnen suchte. Farbige Titelbilder und Fotos entsprachen dem Geschmack der Zeit, kürzere Artikel der vermuteten Aufmerksamkeitsspanne. Als Chefredakteur wurde Michael Rose verpflichtet – er leitete die Zeitschrift bis 2004. Unter Nutzung der neuen Medien wurde ein monatlicher elektronischer Informationsbrief neu geschaffen, der die Mitglieder der DBG und weitere Interessenten aktuell über brasilienbezogene Veranstaltungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie Presse- und Buchveröffentlichungen unterrichtet.

Unter Federführung von Dr. Hans-Joachim Dunker, dem wir schon als Gründungsmitglied begegnet sind, wurde die Satzung modernisiert.

Als Dauerbelastung des neuen Präsidiums erwies sich die fortschreitende Kürzung der Zuwendungen des Auswärtigen Amtes und ein geringeres Beitrags- und Spendenaufkommen, eine Entwicklung, die sich bis heute fortsetzt. So musste das neuen Präsidium auf die Einstellung eines hauptamtlichen Geschäftsführers verzichten und weitere personelle Einsparungen – bei erhöhtem Arbeitsaufwand der ehrenamtlichen Präsidiumsmitglieder – durchführen. Eine gewisse Erleichterung brachte erst der Umzug in neue, preisgünstige Geschäftsräume, als die Stadt Bonn ein besonderes Haus für Nicht-Regierungs-Organisationen zur Verfügung stellte.

Trotz dieser Einschnitte bot die DBG weiterhin eine repräsentative Veranstaltungspalette. 1997 sprach der brasilianische Vizepräsident Marco Maciel vor der DBG und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) über „Regierbarkeit und politische Reformen in Brasilien“, beispielhaft für die Kooperation der DBG mit anderen internationalen Gesellschaften. Bei den Besuchen Präsident Cardosos wurde das DBG-Präsidium gebührend wahrgenommen und die Arbeit der DBG gewürdigt. Im brasilianischen Botschafter Roberto Abdenur, der sechs Jahre in Deutschland amtierte, fand die DBG einen besonders aktiven Freund und Partner. Er verbleibt – als Mitglied des brasilianischen Kuratoriums – der DBG aufs engste verbunden.

Präsident Freiherr von Roenne war nur eine Amtszeit beschieden. Er kandidierte nicht erneut. So 1998 war ein erneuter Führungswechsel geboten: Als Präsidentin gewählt wurde die bisherige Vizepräsidentin Sabine Eichhorn, Chefdolmetscherin des Auswärtigen Amtes für Portugiesisch. Sie setzte als ersten Schwerpunkt die personelle Erneuerung des Kuratoriums. Sie gewann Altbundeskanzler Helmut Kohl als Mitglied. Auf dessen Rat warb sie den früheren Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Carl-Dieter Spranger, als Vorsitzenden. Dieser wiederum sprach, gemeinsam mit der Präsidentin, an Brasilien interessierte Vertreter aller Fraktionen des Deutschen Bundestages und Persönlichkeiten aus Kultur und Wirtschaft an, so dass mit dem Kuratorium ein ausgewogenes, für die Zusammenarbeit engagiertes Gremien neu konstituiert war.

Die 1990er Jahre waren in ganz Lateinamerika das Jahrzehnt der Demokratisierung. Kein Militärregime überlebte. Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit blieben die großen Herausforderungen. Ihnen versuchten die meisten Länder, darunter Brasilien, gerecht zu werden durch Übernahme der Rezepturen des Internationalen Währungsfonds („Washingtoner Konsens“), die sich in Chile bewährt hatten: solide Haushaltspolitik, stabile Wechselkurse, Öffnung der Märkte und Privatisierung von zumeist defizitären Staatsunternehmen.

Der dadurch verschärfte Wettbewerb erlaubte es Brasilien, zunehmend auch mit industriellen Produkten auf dem Weltmarkt Fuß zu fassen. Eine neue Wirtschaftsblüte schien möglich. Wirtschaftliche Kooperation stand in Lateinamerika hoch im Kurs. Zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wurde der Mercosur gegründet. Auf Einladung von Präsident Cardoso und Bundeskanzler Schröder fand 1999 in Rio de Janeiro der erste Gipfel zwischen Lateinamerika / Karibik und der Europäischen Union statt. Dort wurde ein Mandat für Verhandlungen EU-Mercosur über ein Assoziierungsabkommen beschlossen – das bis heute nicht zustande gekommen ist.

ie deutsche Wirtschaft hat die Entwicklung in Lateinamerika zunächst nur zögerlich mitvollzogen. Ihre Beteiligung an den Privatisierungen war mager. Deutschland fiel als Investor in Brasilien hinter Spanien und Portugal zurück. Vorrangig für die deutschen Unternehmer waren nach der Wiedervereinigung innerdeutsche Aufgaben. Mittelständler sahen ihre Chancen in den neuen Staaten Osteuropas. Großunternehmen konzentrierten ihr Engagement auf Süd- und Ostasien. Dies bewirkte ein insgesamt vermindertes Interesse der Unternehmen an Lateinamerika, an Brasilien – und nicht zuletzt der DBG, was sich sowohl negativ auf deren finanzielle Mittel auswirkte als auch die DBG zu verstärkter Werbetätigkeit herausforderte.

Im Jahre 1999 zogen Bundesregierung und Bundestag um nach Berlin, das Auswärtige Amt vollzog den Ortswechsel gegen Jahresende. Die brasilianische Botschaft folgte – Präsident Cardoso konnte während seines Besuchs zur Weltausstellung 2000 auch ein neues Botschaftsgebäude seiner Bestimmung übergeben.

Für die DBG stellte sich nunmehr die Frage: In Bonn bleiben oder nach Berlin umsiedeln?

  • Strategisch war zu entscheiden, ob die DBG überhaupt am alten Standort eine Chance habe oder nur am Sitz von Bundesregierung, Parlament und brasilianischer Botschaft sinnvoll arbeiten könne. Bisher war ja ein Besuch bei der DBG in Bonn fester Programmpunkt für offizielle und inoffizielle Besucher aus Brasilien gewesen.
  • Praktisch stellte sich die Frage, ob die Leitung noch von Bonn aus zu gewährleisten sein würde, zumal die Präsidentin Sabine Eichhorn mit dem Auswärtigen Amt nach Berlin umgezogen war.
  • Perspektivisch war abzuwägen, ob ein Standort Berlin die Chance bot, neue Mitglieder zu gewinnen und auch in den neuen Bundesländern Fuß zu fassen.
  • Rechtlich war zu prüfen, wie ein Umzug nach Vereinsrecht zu bewerkstelligen war.

Auf Vorschlag von Präsidentin Sabine Eichhorn und nach zum Teil kontroversen Debatten entschied sich die Mitgliederversammlung 2001 zugunsten Berlins als Sitz der DBG. Die Satzung wurde entsprechend geändert, die DBG beim Vereinsregister Berlin-Charlottenburg registriert.
Präsidentin Sabine Eichhorn und die Berliner Präsidiumsmitglieder haben dem Beschluss der Mitgliederversammlung entschiedene Schritte folgen lassen, einen Neuanfang auf der Berliner Bühne insWerk zu setzen.. In einem historischen Gebäude am Festungsgraben, in der Nähe von Museumsinsel und Humboldt-Universität, wurde ein Büro angemietet. Von dort aus wurden unter Leitung der Präsidentin sowie von Vizepräsident Dr. Hans-Joachim Henckel, auch unter Nutzung der elektronischen Medien, die Berliner Organisation geleitet, neue Mitglieder geworben und repräsentative Veranstaltungen geplant. Die Brasilianische Botschaft förderte die Gesellschaft nachhaltig – selbstverständlich in Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Das Präsidium baute mir der Universität, dem Ibero-Amerikanischen Institut/Preußischer Kulturbesitz, dem Internationalen Club des Auswärtigen Amtes und in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Organisationen partnerschaftliche Beziehungen auf. Dies waren wichtige Bausteine des Erfolgs in der Hauptstadt, denn im Gegensatz zur Gründungszeit wurde die DBG in Berlin nicht als Konkurrenz empfunden, sondern aufgrund des gestiegenen Interesses an Brasilien begrüßt, vor allem auch von Vertretern der jungen Generation.

Häufige Dienstreisen der Präsidentin nach Brasilien sowie längere Aufenthalte an dortigen deutschen Auslandsvertretungen ermöglichten es ihr, auch in Sinn der DBG Kontakte zu führenden brasilianischen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur aufzubauen und zu pflegen.
Der Umzug Bonn-Berlin konnte allerdings aus personellen und finanziellen Gründen nicht vollständig durchgeführt werden. Tatsächlich verblieben die zentrale Geschäftsführung und die Redaktion von TÓPICOS in Bonn, zumal auf der „Rheinschiene“ – Frankfurt/Main, Bonn, Köln, Düsseldorf – die mit Abstand meisten Mitglieder wohnen. So entwickelte sich ein Modell des Doppelsitzes, bei dem die Vizepräsidenten Dr. Hans-Joachim Henckel in Berlin und Dr. Klaus Platz in Bonn maßgeblich mitsteuerten. Die Sprachkurse wurden in Bonn weitergeführt, in Berlin neu eingeführt.

Für die Zukunft ist der Fortbestand der Verwaltung in Bonn wahrscheinlich und die regelmäßige Präsenz des Präsidenten an beiden Standorten – sowie bundesweit in den Distrikten und Sektionen – notwendig. Präsidium und Mitgliederversammlung tagen abwechselnd in Berlin und Bonn.

Mit Luiz Inácio Lula da Silva übernahm am 1. Januar 2003 der erste Brasilianer, der nicht aus traditionellen politischen, wirtschaftlichen, militärischen oder akademischen Eliten entstammt, das höchste Staatsamt – Hoffnungsträger nicht nur der minder begüterten Schichten seines Landes, sondern auch eines breiten internationalen Spektrums von Linken und Globalisierungsgegnern, die seit Anfang de 21. Jahrhunderts im Weltsozialforum Porto Alegre ihre Bühne gefunden hatten.

Lula führte – entgegen diesen Erwartungen – zunächst die eher konservative Wirtschafts- und Haushaltspolitik seines Vorgängers fort. Der Internationale Währungsfond unter seinem damaligen Managing Director Horst Köhler half mit einem Überbrückungskredit in Rekordhöhe von 30 Mrd. US-Dollar, eine anfängliche Vertrauenskrise zu überwinden. Auf sozialem Felde wurde mit den Programmen „Fome Zero“ und „Bolsa Familia“ bedürftigen Familien ein Grundeinkommen gesichert. Inzwischen profitiert fast jeder vierte Brasilianer von diesem Programm.

Unter Lula entwickelte Brasilien sein internationales Profil weiter: Aktive Politik in der Hemisphäre, Anwartschaft auf einen Ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat, Führung der UNO-Friedensmission auf Haiti, Koordinator der Gruppe G-20 bei den Welthandelsverhandlungen, Mitentscheidung bei der Neuordnung des internationalen Währungs- und Finanzsystems – dies sind die Stichworte für seine bewusst angestrebte Rolle als „Global Player“.

Deutschland war das erste Land außerhalb Südamerikas, das Lula besuchte – ein Land, das ihn seit seinen Anfängen als Gewerkschafts- und Parteiführer über den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt hatte. Ins höchste Staatsamt war wieder ein Freund Deutschlands gewählt worden.

Dieser neue Mann, seine Visionen und seine Politik sprachen wieder ein breites Interessenspektrum im Deutschland an. In den von DBG und Konrad-Adenauer-Stiftung veranstalteten Symposien wurde darüber vertieft diskutiert. TÓPICOS beleuchtete, wo notwendig auch kritisch, Pläne und Vorhaben, Erfolge, aber auch Versäumnisse seiner Regierung.

Eine positive Wirtschaftsentwicklung Brasiliens mit Wachstum ohne nennenswerte Inflation, Exportrekorden auf der Grundlage hoher Rohstoffpreise, Pionierarbeit bei Bio-Treibstoffen sowie mit großen Infrastruktur-Investitionen weckte erneut das Interesse der deutschen Wirtschaft. Erstmals seit langem investiert sie wieder in Großprojekte.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland und die vorangegangene Veranstaltungsreihe „Copa da Cultura“ stellten Brasilien ins Rampenlicht der Öffentlichkeit und Medien.


Im Dezember 2004 wurde ein neues Präsidium unter Leitung des vormaligen deutschen Botschafters in Brasilien, Dr. Uwe Kaestner, gewählt. Seine Vorgängerin und die Vizepräsidenten blieben im Präsidium. Kontinuität war also gewahrt. Das galt auch für die Wiederwahl 2007; Vizepräsident Dr. Henckel konnte allerdings nicht erneut kandidieren; ihm folgte Dr. Axel Gutmann nach. 2009 wurde mit Prot von Kunow ein weiterer früherer Botschafter in Brasilien ins Präsidium hinzugewählt.

Der Vorsitzende des Kuratoriums, Bundesminister a.D. Carl-Dieter Spranger, gab 2009, nach 10-jähriger erfolgreicher Tätigkeit, sein Amt auf. Als Nachfolger wurde der bisherige Abgeordnete des Deutschen Bundestages Lothar Mark gewählt.

Das 2004 gewählte Präsidium hatte die vordringliche Aufgabe, die finanzielle Lage der Gesellschaft zu stabilisieren und die Frage zu beantworten, ob und wie angesichts schwindender öffentlicher Zuschüsse TÓPICOS weitergeführt werden könnte. Hier lag für die kommenden Jahre ein Arbeitsschwerpunkt.

Anfang 2005 wurde der Journalist Geraldo Hoffmann, damals Mitarbeiter der Deutschen Welle, heute von Swiss-Info, als Chefredakteur gewonnen. Die Zahl der Autoren und Fotografen, die großteils ohne Vergütung Beiträge liefern, ist deutlich angestiegen, ihnen sei an dieser Stelle ein herzlicher Dank ausgesprochen! Inhaltlich wurde die traditionelle Bandbreite gewahrt, aber der Wirtschaftsteil ausgebaut und seit der Fußball-WM 2006 eine neue Rubrik Sport aufgenommen.
Um die finanzielle Seite, insbesondere das Gewinnen von Anzeigen, kümmerte sich der Präsident in seiner Eigenschaft als Herausgeber und fand bei Präsidiumskollegen willkommene Unterstützung.

Im Ergebnis gelang ein selbsttragender Neustart zu den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen 2005 in Fortaleza – seither ist die Zeitschrift regelmäßig alle Vierteljahre erschienen. Ein besonderer Dank gilt den Inserenten – mit ihrer Hilfe konnte TÓPICOS sogar zu einzelnen kulturellen Vorhaben der DBG beitragen.

Ein Neustart gelang auch in Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg: Nach längeren Vakanzen sind heute engagierte Persönlichkeiten dabei, der Gesellschaft vor Ort neues Profil zu geben.

Das Präsidium hat verstärkt Veranstaltungen Dritter wahrgenommen: Die jährlichen Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage als Barometer der Wirtschaftsbeziehungen und wichtiges Kontaktforum für Autoren und Anzeigen; Tagungen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lateinamerika-Forschung (ADLAF) und der Deutsch-Brasilianischen Juristenvereinigung (DBJV), den Deutsch-Brasilianischer Dialog der Zivilgesellschaften und das EU-Mercosur Business Forum.

Die traditionelle Veranstaltungspallette wurde fortgeführt und auch außerhalb der Standorte Berlin und Bonn fortentwickelt. Konjunktur erlebten die Sprachkurse, die sich inzwischen bereiten Interesses erfreuen und selbst tragen.

Die Nachfrage nach der brasilianischen Variante der portugiesischen Sprache kann als Vorzeichen eines stärkeren deutschen Interesses an Brasilien insgesamt gewertet werden.

Denn nach den frühen Erfolgen der Lula-Jahre zeigt sich in der zweiten Amtszeit des Präsidenten (2007 bis 2010), wie gut und weit Brasilien wirtschaftlich und sozial vorangekommen ist. Eine besondere Bewährungsprobe war und ist die seit 2008 grassierende internationale Wirtschafts- und Finanzkrise: sie hat Brasilien später und deutlich milder getroffen als andere Industrie- und Schwellenländer – und Brasilien ist schon 2009 auf den Wachstumspfad zurückgekehrt.

Aufsehen erregende Erdöl- und Erdgasfunde vor der brasilianischen Küste werden bedeutende Investitionen nach sich ziehen. Sie lassen erwarten, dass Brasiliens Volkswirtschaft weiter dynamisch wachsen und damit auch ausländischen Partnern neue Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten eröffnen wird.

Und nicht zuletzt: Brasilien hat sich mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 zwei internationale Großereignisse gesichert, die nicht nur zu weiterem Engagement erfahrener deutscher Partner einladen, sondern auch der DBG vielfältige Ansatzpunkte bieten, aktuell Interessierte als dauerhafte Freunde zu gewinnen.

2010 feiert die DBG ihr 50-jähriges Bestehen. Sie kann mit Dank und Zufriedenheit auf die Leistungen der Gründergeneration und der vielen Persönlichkeiten zurückblicken, die sich in den vergangenen Jahrzehnten für die Ziele der Gesellschaft eingesetzt haben. Sie wird das Jubiläum mit einer Reihe herausragender Veranstaltungen begehen, die sich an eine breitere Öffentlichkeit wenden und zur Werbung neuer Freunde genutzt werden sollen.

Allerdings: Das Jubiläumsjahr ist kein Anlass zum Zurücklehnen, denn für die Zukunft stehen die Gesellschaft und ihr Präsidium vor großen Herausforderungen:

  • Es gilt, die Tatsache bestmöglich zu nutzen, dass Brasilien die deutsche Öffentlichkeit mit einer Themenbreite und einem Interessenspektrum anspricht wie kaum ein anderes Land. Dies erleichtert die Aufgabe, Freunde und Interessenten zu gewinnen. Der Schritt zur Mitgliedschaft wird aber durch Bindungsscheu sowie durch das wirtschaftliche Umfeld erschwert.
  • Kernanliegen bleibt, der deutschen Öffentlichkeit ein aktuelles und umfassendes Bild des Partnerlandes Brasilien zu vermitteln und umgekehrt; die Gesellschaft muss mit ihren Möglichkeiten dazu beitragen, einer selektiv-negativen und mit Klischees behafteten Berichterstattung entgegenzuwirken.
  • Wichtig dabei ist, über die politischen und wirtschaftlichen Gezeitenwechsel und über aktuelle Aufgeregtheiten hinweg die persönlichen Beziehungsgeflechte, die Wertegemeinschaft, die geistig-kulturelle Verbundenheit und die Kontinuität in den bilateralen Beziehungen zu betonen;
  • Das kulturelle Veranstaltungsangebot der DBG, der brasilianischen Botschaft und anderer Träger muss frühzeitiger geplant und besser vernetzt werden, um möglichst viele deutsche Städte und Regionen zu erreichen.
  • Der deutschen Wirtschaft müssen – auch im Vergleich zu anderen Weltregionen – immer wieder die sich in Brasilien bietenden Chancen verdeutlicht werden, um sie zu einem stärkeren Engagement zu ermutigen; dafür sind verstärkt Tagungen, Messen und Symposien zu besuchen und Vorträge anzubieten.
  • Die Zusammenarbeit mit anderen an Lateinamerika interessierten Vereinigungen muss verstärkt werden, um gemeinsam – angesichts des seit den 1990er Jahren deutlichen Trends der deutschen Wirtschaft nach Osteuropa und Asien – auf Ausgewogenheit zu drängen.
  • Angesichts schwindender öffentlicher Zuschüsse und schwieriger einzuwerbender Spenden muss die künftige Finanzierung der Gesellschaft auf eine solide Grundlage gestellt werden.
  • Die Zeitschrift TÓPICOS als wichtigstes Bindeglied zwischen den Mitgliedern und Sprachrohr der DBG nach außen muss bei voller Finanzierung durch Anzeigen und Abonnements langfristig gesichert werden
  • Die Homepage der DBG www.topicos.de ist ständig zu aktualisieren und auszubauen.
  • Nach den Bundestagswahlen 2009 und den brasilianischen Wahlen 2010 ist mit Neubelebung der deutsch-brasilianischen Parlamentsbeziehungen zu rechnen – die DBG muss sich frühzeitig einschalten.
  • Nicht zuletzt muss die DBG ihre Arbeit in den Distrikten und Sektionen verstärken, bisherige Standorte aktivieren und neue eröffnen und dafür Leitungspersönlichkeiten gewinnen.

Zum Schluss sei allen Persönlichkeiten in beiden Ländern herzlich gedankt, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ehrenamtlich für die deutsch-brasilianische Partnerschaft und die Deutsch-Brasilianische Gesellschaft sowie ihre Zeitschrift TÓPICOS eingesetzt haben und künftig einsetzen werden. Dieser Dank schließt insbesondere auch die Kuratoren der Gesellschaft in Deutschland und Brasilien ein.

Der Verfasser, Dr. Uwe Kaestner, war von 2001 bis 2004 deutscher Botschafter in Brasilien. Er hatte seine diplomatische Laufbahn von 1966 bis 1970 in Rio de Janeiro begonnen. Von 1993 bis 1995 war er Beauftragter für Lateinamerika-Politik im Auswärtigen Amt und Mitautor der Lateinamerika-Konzeption der Bundesregierung.

Von 1986 bis 1993 arbeitete er im Bundeskanzleramt und wirkte an den internationalen Verhandlungen über die deutsche Einheit mit.